Claudia Antonia Merkle
„Farbrausch"


„Ich male nachts, bei lauter Musik - Bruch, Rachmaninoff, Grieg, Satie, Debussy... - ich versuche den Rhythmus, die Tonalität, die Kraft und vor allem die Stimmung, die die Musik in mir auslöst, als Farbklang wiederzugeben. Die meisten Menschen sind zunächst irritiert, fast ärgerlich, wenn sie in einem Bild keinen Gegenstand, keinen erkennbaren Inhalt entdecken können. Unbekannte Dinge machen Angst. Alles, was sich nicht einordnen läßt, beunruhigt. Meine Bilder zwingen den Betrachter, sich von begrenzenden, vorgefertigten Schemen zu lösen, um selbst kreativ zu werden. Ein Mensch ohne Phantasie, ohne Ideen, ohne Träume ähnelt einem getrockneten, leblosen Schmetterling - Gedanken und Gefühle sind ständig in Bewegung - Phantasie hat Flügel!"

Claudia Merkles großformatigen Bilder sind ein Aufbäumen der Farbe gegen die Grenzen des Raumes, gegen die Enge, gegen jede Einengung, ganz besonders gegen die, die man sich selbst zufügt. Ihre Öffnung des Raumes, die Entgrenzung, bedeutet von der Bildfläche ausgehend einen Raum zum Betrachter zu spannen, eine Art Windkanal, in dem sich der Betrachter bewegt, den er im Grunde selbst herstellen kann, indem er sich auf einen Dialog mit dem Bild einläßt. Wie ein Gedicht, oder Musik, kann auch ein Bild, vielleicht unbewußt, eine ganz bestimmte Stimmung im Betrachter auslösen.

Farben beruhigen, regen an, regen auf, machen aggressiv, traurig, fröhlich oder nachdenklich. Auf dem Weg vom Bild zum Betrachter und vom Betrachter zum Bild füllt sich der Energiestrom ständig mit neuen Inhalten, die der Betrachter selbst in seinem Innern bereithält und die durch das Bild aktiviert werden.

Die großen Formate vibrieren vor Energie: Das ist der kraftvolle Malprozeß, der sich in der Bildoberfläche abbildet, die mal glatt, mal schrundig ist, Spuren der Arbeit zeigt, also sehr ereignisreich ist. Über zwanzig Schichten trägt die Malerin auf, die mit Spachteln, Rollen, großen Pinseln und Schwämmen arbeitet.

„Manchmal kann es mir nicht schnell genug gehen, dann greife ich mit der Hand in die Farbtöpfe und male mit den Händen, um die Konsistenz von Farbe und Leinwand zu spüren."

GOLD - Die Künstlerin hat die Leinwand zunächst mit einem Bild in ihrer gewohnten Manier in Rot oder Blau bedeckt und es dann, als wolle sie es mit einem Gazeschleier überziehen und ihm die Deutlichkeit nehmen, mit goldener Acrylfarbe zugedeckt. Aber Gold ist keine Farbe, sondern eine Anmutung, ein Schatten, ein Schimmer, ein Echo.

Claudia Merkle vollzieht den umgekehrten Prozeß, wie er in der frühchristlichen Kunst praktiziert wurde: die Figuren wurden auf einen Goldgrund, einen goldenen Hintergrund, aufgebracht, um sie der Wirklichkeit zu entheben. Mit dem Gold wurde die göttliche Sphäre bezeichnet, was selbst heute noch tief in unserem kollektiven Unbewußten verwurzelt ist und bei dem Gefühl von Kostbarkeit, Reinheit und Zauber beim Anblick von Gold immer noch eine Rolle spielt.

„Mein erstes goldenes Bild entstand vor vier Jahren, kurz vor Weihnachten, nachdem ich mich völlig entnervt durch kaufwütige, hysterische Menschenmassen gequält hatte und mir mindestens zwanzig, grellrote, laute, dickwanstige Weihnachtsmänner den Weg versperrt hatten. Ich dachte an frühchristliche Mosaiken, mit ihren goldenen Steinchen, die teilweise ganz unwirklich schimmern und wollte deren mystische Stimmung nachempfinden. Meine goldenen Bilder sind Bilder der Meditation, in die man sich versenken kann und muß, um die Beziehung der goldenen Übermalung zum verborgenen Untergrund zu erspüren. Die Wirkung ist ganz eigenartig."


ROT – die roten Bilder bergen alle Nuancen von Rot in sich, sie sind expressiv: Rot ist die ungebändigte Energie, die Spannung und Aufladung, vor allem aber die Wärme.

Indem die Künstlerin im Gegeneinandersetzen der Rottöne die pulsierenden Kräfte bändigt, schafft sie ein Energiefeld, das Bild, von dem diese Energie auch immer wieder auf den Betrachter zurückgeht.

BLAUdie blauen Bilder, ebenfalls aus ineinanderlaufenden Blautönen, sind Traumwelt, verkörpern Leichtigkeit, Himmel.

Mein erstes blaues Bild ist entstanden, nachdem ich das erste Mal beim Tiefseetauchen war, nachdem ich buchstäblich in eine völlig andere Welt abgetaucht bin."

Claudia Antonia Merkle

21. November 1965, Weingarten

1985-1988 Graphisches Atelier,
Ravensburger Spiele

1988-1995 Studium an der
Ludwig-Maximilians-Universität München
Mittlere und neuere Kunstgeschichte
Frühchristliche und byzantinische
Kunstgeschichte
Soziologie

1992 Florenz, Stipendium des italienischen Kulturinstitutes

1993 Museum of Modern Art,
New York Education Departement

1993 Solomon R. Guggenheim Museum,
New York Gallery Lecturer

1995 Magister Artium
Thema der Arbeit: Marianne von Werefkins
„Briefe an einen Unbekannten" -
Emanzipation einer Frau als Künstlerin

Einzelausstellungen

1993 Loft 16 Bob Goldstein,
New York

1993 Atelier Controcorrente,
Como, Italien

1994 Galerie von Bibra,
Köln